L for Liberty

…because liberty is not negotiable.

Backlash

Auch wenn ich mir von der neuen Regierung Luxemburgs außer dem Prädikat „Kein Juncker mehr“ nicht viel erwarte, so sind doch auf den Nebenschauplätzen einige Fortschritte zu verzeichnen. Das Abschaffen des Religionsunterrichts gehört dazu. So ist es nur normal, dass das Imper… Bistum zurückschlagen wird.

Ungewöhnlich still war bislang der Erzbischof. Vielleicht, weil er Juncker und der CSV nicht gegen den Strich fahren wollte, die auf den letzten Drücker, halbherzig und populistisch, ebenfalls die Abschaffung des Religionsunterrichts in ihr Programm aufnahmen. Jetzt, wo der Kuchen in grün-rot-blau gebacken ist, darf also wieder öffentlich rumort werden – und da erwarte ich ein paar rhetorische und argumentative Leckerbissen.

Den Anfang macht nun eine Bürgerinitiative. „Fir de Choix“ – für eine freie Wahl also – so nennt sich die Initiative, die heute online ging um Unterschriften zu sammeln. Das Resultat ist fraglich, auch wenn die Kirche selbst herausgefunden haben will, dass 72% der Luxemburger für die „freie“ Wahl zwischen Religionsunterricht und morale laïque sind. Ich kenne niemanden davon.

Dazu frage ich mich allerdings, wie genau dieser Religionsunterricht aussieht, dass er so stark getrennt von allgemeinem Werteunterricht gehandhabt wird. Wenn ich an meine eigene Zeit als Schüler zurückdenke, so waren Religionsunterricht und Werteunterricht bereits stark angenähert. In Religion lasen wir zwar mehr Texte, die sich allgemein eher christlich deuten ließen, aber ansonsten ging es viel um Naturschutz, andere Religionen oder generell Kulturgeschichte. Letztere ist zwar christlich geprägt, aber die ist nunmal auch objektiv in der Art geprägt, dass derselbe Stoff andernorts ebenfalls nicht ohne die Geschichte von Kaisern und Päpsten auskommt. Allerdings ist dabei nicht die Geschichte selbst christlich, sondern nur der Einfluss und die vielen Intrigen von so genannten Geistlichen, bis hin zur Kunst, wo biblische Motive sehr hoch im Kurs standen.
So oder so, eine Trennung war seinerzeit bereits so schwammig, dass ein Zusammenlegen vieles vereinfachen wird, sowohl programmatisch als auch administrativ.

Doch dagegen stehen die Argumente der Petition nicht einmal. Es ist insgesamt ziemlich dürftig.

Das erste Argument ist das Argument einer Wahlfreiheit. Wie oben beschrieben ist das nicht gültig, wenn die beiden Wahlmöglichkeiten bereits sehr nahe stehen. Die einzige Schlussfolgerung, die ich daraus ziehe, ist, dass es den Initiatoren darum gelegen ist die Differenz wieder aufzubauen und Religionsunterricht als das zu etablieren, wie es noch zu Zeiten meines Vaters gelehrt wurde. Diesen Rückschritt ins Repressive und Autoritäre lehnen hoffentlich auch die meisten der Unterzeichner ab, welche die Petition vielleicht naiv unterstützten. Oder sich vom Wort „frei“ blenden lassen. Denn es kommt auch keiner auf die Idee den deduktiven Ansatz der Mathematik durch einen konstruktivistischen zu ersetzen auch wenn das der „Wahlfreiheit“ mathematischer Systeme Rechnung tragen würde.
Wobei dort dieser Ansatz gerechtfertigter wäre als bei Werten. Denn die sind nicht so beliebig, wie man glauben mag: jede Gesellschaft, und sei sie noch so klein, hat Wertesysteme entwickelt, die auf ganz ähnlichen Grundsätzen beruhen. Diese ursprünglich geschlossenen Gruppen sind nun stark in andere Gesellschaftsformen über gegangen, d.h. einige Punkte mussten sich um des friedlichen Miteinanders willen, ändern. Und ebenso ist eine allgemeine Ethik zu verstehen, welche von dem ausgeht, was man wissen kann und nicht, was man sich anmaßt zu wissen. Wer die Grundzüge der verschiedenen Ethiken verschiedenster Kulturen und Religionen vergleicht, kommt zum Schluss, dass sie sehr viel gemeinsam haben. Unterschiede kommen dann in der Handhabung. Folglich ist die Handhabung zu überdenken und das ist genau das, was momentan mit der Allgemeinerung und Einbeziehung anderer Kulturen und Randgruppen geschieht.
Das ist eher Ausdruck „gelebter Demokratie“ und „gegenseitigem Respekts“ als das Fordern eines Rückschrittes, der mit den genannten Worten niemals umschrieben werden sollte – es sei denn man findet sonst keine Argumente und muss auf diese Rhetorik der Werbung und Demagogie zurückgreifen. Das ist frappierend der Rhetorik unseres aktuellen Erzbischofs ähnlich. Wenn Wörter wie „gegenseitigen Respekt“ dort angebracht werden, wo daraus Zwietracht entsteht, scheint man den Sinn dahinter nicht für angemessen zu halten.

Als in den 80gern in Kalifornien der Kreationismus die Schöpfungslehre ersetzen erweitern sollte, wurde ähnlich argumentiert. „Pluralismus“ und „andere Sichtweisen“ waren Schlagworte, die nach außen hin suggerieren sollten, dass man weltoffen und demokratisch zu agieren habe. Dahinter steckte aber eine knallharte politische Agenda und es ist naiv gewesen dem nachzugeben. Das Ende der Geschichte ist noch nicht erreicht, aber wir kennen die ersten Etappen: Die Evangelikalen gehören mittlerweile zu einer schnell wachsenden und mächtigen Gruppe in den USA. Man soll sich also nicht scheuen zu sagen, dass mit Worten wie „demokratisch“ Türen aufgestoßen werden können, hinter denen ganz andere Programme lauern. (Jetzt ohne „fir de choix“ auch nur in die Nähe der oben und im folgenden genannten Gruppen setzen zu wollen: ähnliche Argumentationsweisen finden sich auch beim „Front National“ und der „NPD“. Bedeutung also gleich null.)

Das zweite Argument ist, dass es die Aufgabe der Schule sei, den jungen Menschen bei ihrer Suche nach Sinn zu helfen. Das Argument ist ein bisschen einseitig, dazu eignet sich nämlich ein allgemeiner Werteunterricht, der auch andere Formen beschreibt, besser. Des Weiteren ist „Sinn“ ein sehr schwammiger Begriff. Für einen Frommen jedweiliger Couleur nimmt Sinn viele Formen an. Sinn findet man überall, aber ihn zu missionieren ist schwierig. Man kennt das im Kleinen, wenn man z.B. seinen Freunden die neue Freundin vorstellt: man schwärmt aber diese sitzen nur da und denken sich das Ihrige. Sinn kann nicht so vermittelt werden. Das führt nur zu Brachialmethoden und Zwang. Sinn kommt durch Erfahrungen. Die kann man aber nicht aufsetzen indem man nur ein Sinnsystem präsentiert. Sinn hat auch viel mit Wissen zu tun. Einem Wissen darum, wie die Welt funktioniert und was dahinter steckt. Das Schlagwort „Ganzheitlichkeit“ ist in dem Falle reine Rhetorik und Bauernfängerei. Ganzheitlich kann Schule nie sein und will es auch gar nicht.

Was zum letzten Punkt bringt: Werte seien nicht neutral und es sei nicht Aufgabe des Staates zu entscheiden, was diese Werte sein sollen. Richtig. Nur ist der Kontext hier zweifelhaft. Werte des Religionsunterricht sind auch nicht neutral. Nach der eigenen Logik müsste der Religionsunterricht sich selbst abschaffen. Es gibt ein Leben außerhalb der Schule, das für solche Dinge zuständig ist. Da der Staat nunmal das Bildungsmonopol hat, ist es de facto an ihm zu entscheiden, aus welchen Punkten der Werteunterricht besteht. Hier scheint Werteunterricht so begriffen zu werden, dass es eine Liste mit „gut – schlecht“-Bewertungen gibt, die von den Schülern auswendig gelernt werden. Das ist aber bei weitem nicht der Fall. Wenn es heute noch ein bisschen so ist, wie zu meiner Zeit, dann werden neben Faktenwissen viele Probleme behandelt, ohne dass man eindeutige Lösungen bringt.
Der Punkt der Neutralität ist zwar, philosophisch gesehen, valide, doch bringt der Kontext sehr große Probleme mit sich. Denn da der Staat als Monopol jedem gerecht werden muss und ebenfalls keine Segregation befürworten kann, muss er sich auf die neutralere Herangehensweise berufen. Und die ist nunmal laizistisch, da sie ohne unnötige Prämissen auskommt. Das bedeutet nicht den Tod der Theologie, es gibt großartige Theologen und theologische Überlegungen, die sind aber sehr gut innerhalb eines allgemeinen Werteunterrichts zu behandeln, dazu braucht es keine Konzentration aufs Katholische. Wenn Buddha sagt, man solle sich nicht mit Drogen berauschen, hat das seinen Sinn innerhalb einer Philosophie des momentanen Seins. Um das zu verstehen bedarf es aber mehr als des eigenen kleinen Horizonts. Und es bedarf vor allem nicht des Reflexes gleich zu vergleichen, was Lot dazu sagen würde. Sich auch mit diesen Dingen querbeet zu beschäftigen, selbst wenn man nur mal ein paar Stunden (und die rechnen sich innerhalb der Schulkarriere) ist außerordentlich fruchtbar, die Einschränkung auf den Katholizismus hingegen vermutlich nicht. Vielleicht mit einem anständigen Lehrer, dar über den Dingen steht und das alles miteinander zu verbinden weiß (und damit tatsächlich als Sinn-Stifter Erfolg haben könnte). Nur gibt es solche Leute viel zu selten.

Summa summarum komme ich vom Verdacht nicht los, dass die Initiative keine so spontane Aktion ist, wie es zunächst den Anschein hat. Die Seite wurde schnell aus dem Boden gestampft und auch wenn es irgendwo Ansprechpartner zu geben scheint, wirkt das ganze doch sehr anonym. Es wurde der neue Koalitionsvertrag abgewartet und die Obrigen des Bistums haben bislang nur ihre Sprecher losgeschickt. Das erweckt den Eindruck eines Versuchballons, eines Antastens und eines Beobachtens wie die ganze Sache funktioniert, von wo Gegenwind kommt und wer darauf reinfällt. Und selbst wenn es doch eine urtümliche ungeplante Aktion ist, der Geist, der dahinter weht (und den Initiatoren vielleicht nicht so stark bewusst ist) wirkt mir alles andere als heilig.

EDIT: Mittlerweile sind die Namen der Initiatoren genannt.

Dezember 16, 2013 - Posted by | Neues aus Luxemburg, Philosophie, Religion, Toleranz | , , , , , , , , ,

1 Kommentar »

  1. http://www.wort.lu/de/view/religionsunterricht-buergerinitiative-fuer-den-erhalt-der-wahlfreiheit-52aefde6e4b0ba7c76657ae7
    «Ein Religionsunterricht vermittle Werte von innen heraus, während in einem Werteunterricht Religionen als Wissen dargestellt würden. „In einem Werteunterricht sind Wertevermittlung und das Wissen über Religionen getrennt.“»

    Das wirkt mir doch arg konstruiert. Wer’s mir erklären kann, nur zu.

    Kommentar von JayJay | Dezember 16, 2013


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