Im Land der Rus und Tataren
Nach Nordirland, Israel und Aserbaidschan führte mich die nächste Etappe meiner „Road to Brazil“-Tournee Anfang September nach Rußland, genauer gesagt nach Moskau und Kasan.
Sonntag, 01.09.2013
7:11 Uhr fährt mein Zug nach Luxemburg-Stadt ab. Von dort aus geht es in einem IC weiter nach Koblenz, wo ich in einen ICE zum Frankfurter Flughafen umsteige, den ich gegen zwölf Uhr erreiche. Ein Shuttle bringt mich zu Terminal 2, wo ich meinen Schweizer Freund Martin S. wiedertreffe. Wir checken bei einem Schalter der sibirischen Airline S7 ein, geben unser Gepäck auf und treffen kurz darauf auf die Luxemburger Fussballfans Sven, Kevin, Bob, Dr.House und Michi, die mit Aeroflot ca. eine halbe Stunde vor uns bereits nach Moskau abfliegen. Nachdem wir uns kurz unterhalten haben, begeben wir uns zu unseren jeweiligen Gates. Der Flug von Martin und mir geht 14:50 Uhr, Ankunft in Moskau gegen neun Uhr. An der Passkontrolle sind wir schnell vorbei. Unser Visum haben wir beide an der jeweiligen russischen Botschaft problemlos bekommen, nachdem wir vorher nachgewiesen hatten, dass wir eine Reiseversicherung für die eine Woche abgeschlossen haben und ein zweiteiliges Dokument (sog. „Tourist Voucher“ plus eine offizielle Einladung) vorweisen konnten, welches man auf gewissen Seiten im Netz „einkaufen“ kann. Nachdem wir unser Gepäck abgeholt haben, begeben wir uns auf die Suche nach einem Taxi. Dabei stellen wir fest, dass die Fahrer ihre ganz eigenen Preise sich ausdenken: einer will 3 500 Rubel zu unserem Hotel haben, der Andere immerhin „nur“ 2 600 Rubel. Der offizielle Preis der Taxiagentur am Flughafen beträgt jedoch 1 600 Rubel. Wir lernen: lieber gleich den offiziellen Preis an einem Taxischalter erfragen und dort ein Taxi buchen. (1 Euro sind übrigens ca. 44 Rubel. Man kann aber auch sagen, dass 1 Rubel quasi ein alter Luxemburger Franken ist :D)
Später am Abend checken wir im Best Western ein. Die Zimmer (Preis für eine Übernachtung in einem Einzelzimmer: 3 779 Rubel) sind sauber und gefallen uns. Mich begeistert an den drauffolgenden Tagen vor allem das opulente Frühstück. Ich habe noch in keinem Hotel ein so großes Frühstücksbuffet mit so vielen Ständen gesehen. Auch toll: wer Spiegeleier, ggf. mit Beilage, möchte, kann diese bei Angestellten bestellen und zusehen wie die Eier vor seinen Augen in die Pfanne gehauen und frisch zubereitet werden.
Montag, 02.09.2013
Mit der U-Bahn (eine Fahrkarte kostet übrigens nur 0,30 Rubel und man darf mit ihr so weit und so lange fahren wie man will bzw. bis man das nächste Mal eine U-Bahnstation verlässt) fahren Martin und ich zum Platz der Revolution. Die U-Bahnen in Moskau fahren im 1-Minuten-Takt. Sowas habe ich in keiner von mir bisher besuchten Großstadt erlebt. Man kommt also sehr schell und äusserst billig von A nach B. Auch die teilweise recht langen und sehr steilen Rolltreppen beeindrucken mich, zumal ihre Geschwindigkeit um einiges höher ist als die von Luxemburger Rolltreppen.
Wir fotografieren das Bolschoi Theater und lichten uns gegenseitig neben einer Karl Marx Statue ab. Im Anschluss begeben wir uns durch Metalldetektoren zum Roten Platz. Auf demselben findet zur Zeit eine Reitervorstellung statt. Dabei wird westliche Musik gespielt, u.a. James Bond und Game of Thrones. Überhaupt lieben die Russen westliche Musik, wie einem auffällt wenn man auf Kleinigkeiten achtet wie darauf, was bspw. Taxifahrer für Musik aus dem Radio hören. Kalter Krieg und Klassenfeindschaft waren gestern, jedenfalls für den Ottonormalbürger.
Gegen zehn Uhr treffen wir uns mit den anderen Luxemburgern (Bob, Kevin, Michi, Sven und Marc „Dr.“ House, der eigentlich gebürtiger Engländer ist, aber seit etlichen Jahren in Luxemburg lebt) an der Basilius-Kathedrale, die wir jedoch nur von aussen besichtigen. Eine hübsche Kathedrale, die Ivan der Schreckliche erbauen liess nach seinem Sieg über das Kasaner Khanat.
Das große GUM-Einkaufszentrum beeindruckt uns. Eine Luxusboutique an die Andere. Hier zeigt sich: der Kapitalismus hat in Russland endgültig gesiegt.
Gegen Mittag kommen wir am Grab des unbekannten Soldaten vorbei, welches symbolisch für alle im Kampf um Moskau gefallenen russischen Soldaten steht. Hier befindet sich auch ein Nekrolog mit den Namen der von den Nazis angegriffenen und zerstörten russischen Städte. Wir sehen auch einen schönen Brunnen mit Pferdestatuen und Blumengärten.
Wir besichtigen den Kreml. Erstmal die Waffenkammer (500 Rubel), welche neben Waffen und Rüstungen aller Art auch unglaublich viel Tafelsilber und Tafelgold, teure Kleider, Kutschen, Throne, Bibeln, Schmuck und sonstigen Besitz der Zarenfamilie bis hin zu schön verzierten Schupftabakdosen beinhaltet. Danach drei der orthodoxen Kathedralen (zusammen 300 Rubel), welche beeindruckende Ikonostase beinhalten. Was mir jedoch weniger gut gefällt ist, dass die Innenräume der Kathedralen wirklich vollständig bemalt sind: die Wände und die Decken. Damit sind sie m.E. überfrachtet, ein paar weiße Stellen zur Abgrenzung zwischen den einzelnen Malereien täten hier Not. Manchmal ist weniger halt doch mehr.
Wir sehen auch die Zarenkanone und die Zarenglocke.
Nach einer kleinen Busfahrt essen wir im Expeditia (oder so ähnlich) zu Abend. Hier herrscht Tundra-Atmospäre (siehe Fotos.) Wir trinken leckeren Rotwein und ich genehmige mir Fleisch vom Rentier, was sehr zart ist und vor allem äusserst geschmackvoll. Absolut weiter zu empfehlen! Weniger empfehlenswert sind die nach dem Essen verabreichten Kaugummis aus Zedernharz, die schon einen sehr komischen Geschmack haben.
Während die Anderen noch in eine Kneipe gehen, fahren Martin und ich mit der U-Bahn zurück ins unser Hotel.
Dienstag, 03.09.2013
Wir besuchen das Lenin-Mausoleum. Vorher müssen wir unsere Fotokameras abgeben. Wir kommen erstmal an einigen anderen Gräbern bekannter russischer Politiker vorbei. Darunter auch Josef Stalins Grab, auf welchem die meisten Blumen liegen. Das erschreckt mich doch ein wenig. Waren das Ewiggestrige oder naive Ignoranten? Lieben die Menschen, die diese Blumen hingelegt haben, wirklich immer noch diesen roten Massenmörder? Oder waren dies einfach Menschen, die trotz seiner Verbrechen dennoch anerkennen, dass Stalin Mütterchen Russland immerhin vor den Nationalsozialisten gerettet hat? Für viele Menschen, gerade auch Juden, war die Rote Armee Stalins durchaus eine Befreiungsarmee. In manchen Souvenirshops in Russland gibt es jedenfalls tatsächlich „Danke, Genosse Stalin“-Tshirts zu kaufen (wenn meine Übersetzung richtig ist.)
Lenin seinerseits liegt einbalsamiert in einem Sarg aus Panzerglas. Er sieht überraschend klein aus. Ich meine, ich weiß schon, dass Lenin eher klein war, aber sein Leichnam sieht aus wie der eines Zwergs, die Beine scheinen mir viel zu kurz geraten zu sein. Ob sie durch schlechte Konservierung in den Anfangsjahren geschrumpft sind? Keine Ahnung. Da liegt jedenfalls der bekannte Revolutionsführer, seine Gesichtszüge sind gut zu erkennen.
Gegen Mittag machen wir eine Schiffsfahrt (Preis: 450 Rubel) über die Moskva. Dabei erblicken wir auch das Luschniki-Stadion.
Später spazieren wir durch die Arpadstraße, Moskaus Fußgängerzone, wo wir in einem Irish Pub einkehren. Während Sven im Anschluß in sein Hostel zurückkehrt, machen wir noch eine Tour mit einem Sightseeingbus.
Den Abend verbringen wir, wieder mit Sven vereint, in einem anderen Irish Pub, wo die Bedienung uns einen sehr geilen Raum zuweist, wo wir uns wie die Ritter der Tafelrunde fühlen. Ich bestelle mir ein verdammt saftiges T-Bone-Steak. Dazu machen wir ein kleines „Beer tasting“ und probieren die Biere auf der Karte durch. Sehr speziell ist ein gewisses „Double Chocolate“, was in der Tat wie Zartbitterschokolade schmeckt. Zum Abschluß trinken wir noch einen Wodka, bevor wir mit der U-Bahn zurück in unsere Hotels fahren.
Mittwoch, 04.09.2013
Martin und ich checken nach dem Frühstück aus dem Hotel aus, lassen unser Gepäck aber in einer von einem Wächter bewachten Gepäckablage. Mit der U-Bahn geht es zum Roten Platz. Dort besichtigen wir mit einem Audioguide das Historische Museum, welches die Geschichte von Funden aus der Steinzeit, der Völkerwanderung, der Schlachten der Rus gegen die Goldene Horde und der Entstehung wie der Entwicklung Russlands bis ca. zum Jahre 1900 schildert.
Nach einem Espresso im GUM fahren wir mit der U-Bahn zurück zu unserem Hotel, holen unser Gepäck ab und fahren gleich wieder mit der U-Bahn zur Station Paveletskaya. Am dortigen Bahnhof lösen wir zwei Zugkarten für den Aeroflotexpress zum Flughafen Domodedovo. Mit dieser Bahn sind wir in der Tat recht schnell und vor allem billig (Preis: 320 Rubel) am Flughafen.
Am Flughafen trinken wir einen riesengroßen Eiskaffee mit Karamellsauce, während wir auf unseren Flug mit Tatarstan Airlines nach Kasan warten. Als wir kurz vor Abflug endlich im Flieger sitzen, macht der Pilot eine Durchsage auf russisch. Wir verstehen leider kein Wort, aber alle Passagiere, also auch wir, verlassen den Flieger wieder. Wie wir an einer elektronischen Anzeigetafel sehen können, wurde unser Flug um zwei Stunden verlegt. Wir fliegen erst nach Mitternacht. Wieso auch immer. Ich teile diese Information gleich Kevin via SMS mit. Er ist mit seinen vier Begleitern bereits vor Stunden nach Kasan abgeflogen und sie haben bereits im Hotel eingecheckt (in Kasan haben wir alle sieben dasselbe Hotel).
Gegen zwei Uhr landen auch Martin und ich endlich in Kasan und wir fahren mit einem Taxi (Preis: 1 200 Rubel) zu unserem Hotel, dem Suleiman Palace. 3 180 Rubel pro Nacht bezahlen wir hier für ein Einzelzimmer. Die Zimmer sind sehr sauber und vor allem sehr groß. Wir sind vollends zufrieden mit unserer Wahl.
Donnerstag, 05.09.2013
Nach dem Frühstück brechen wir alle sieben zu einem Spaziergang durch die Fußgängerzone (Bauman Street) auf. Wir besichtigen die in der Nähe gelegene Peter&Paul-Kirche und landen später an der Statue von Muse Dgalilu, einem Dichter und Helden des antifaschistischen Kampfes. Hier befinden sich auch noch Gedenktafeln anderer Helden.
Wir betreten im Anschluß den Kreml Kasans, der zum UNESCO-Weltkulturerbe zählt. Von einem Aussichtsturm aus (Hochsteigen über eine steile Treppe kostet nur 0,30 Rubel) bewundern wir die Schönheit Kasans. Von hier aus können wir auch das Zentralstadion Kasans erblicken (wo am Freitag unser Länderspiel stattfinden wird.)
Die Kul Sharif Moschee gefällt mir sehr gut. Eine der schönsten Moscheen, die ich je gesehen habe. Nicht nur von aussen. Auch der Innenraum ist sehr schön gestaltet. Mit Plastiktüten um die Schuhe herum darf man die Moschee nämlich betreten und sogar Fotos schiessen.
Auch die Mariä-Verkündigungs-Kathedrale gefällt uns von aussen sehr gut, die Gestaltung des Innenraums empfinde ich jedoch wieder als „zu beladen“. Unweit der Kathedrale befindet sich auch ein Denkmal für die Architekten des Kasaner Kremls.
Wir sehen auch den Sujumbike-Turm, benannt nach der letzten Regentin des Kasaner Khanats. Zudem geniessen wir die Aussicht über die Stadt. An einer Stelle fällt mir ein Gebäude in der Form eines Kessels oder noch eher einer Schale auf. Hierbei handelt es sich, wie wir später erfahren, um das Standesamt Kasans.
Wir sehen uns das Zentralstadion von aussen an. Hier spielt also Rubin Kasan, ein Verein, der schon einmal den großen FC Barcelona bezwungen hat. Allerdings nur noch bis zur endgültigen Fertigstellung der neuen Kasaner Arena, in die Rubin dann in naher Zukunft umziehen wird.
Später am Nachmittag trinken wir ein paar Bierchen im Joker, einer Kneipe neben dem Hotel Mirage, wo die russischen Spieler gastieren. Während die Anderen danach ins alte islamische Viertel aufbrechen, begeben Martin, Kevin und ich uns zum Marriott’s (Spielerhotel), wo wir uns dem kleinen Troß von Journalisten anschliessen, die sich ins Stadion zum Abschlußtraining begeben. Irgendwie ergibt es sich, dass wir plötzlich in einer Pressekonferenz des russischen Trainers Fabio Capello (in Italien als Meistertrainer bekannt) und des russischen Kapitäns Igor Denisov landen. Dies ohne irgendwie einen Presseausweis dabei zu haben. Betreuer lotsen unsere Gruppe dort hinein, annehmend dass wir alle Journalisten aus Luxemburg sind. Denisov bedauert die Niederlage gegen Nordirland und verspricht dass die Mannschaft gegen Luxemburg anders auftreten wird als in Belfast. Capello zeigt sich überzeugt davon, dass er noch länger Nationaltrainer Russlands bleiben wird. Nach der Konferenz springt der Italiener schnell auf und will den Raum verlassen. Martin und ich hechten ebenfalls von unseren Sitzen und laufen zu ihm hin um ein Foto zu machen. Ein Bodyguard Capellos stösst Martin jedoch verärgert weg, bevor wir dem berühmten Trainer allzu nahe kommen können. Schade 😦
In der Folge verfolgen wir noch das Luxemburger Abschlußtraining, wo es im Trainingspiel doch munter zur Sache geht. Dabei treffe ich einen russischen Journalisten, mit dem ich mich über unsere Anreise, meine ersten Eindrücke von Kasan und Fussball unterhalte. Er schreibt später einen Artikel über unser Treffen für die Website von Rubin Kasan.(Das beiliegende Foto zeigt mich, ein paar JDL-Kollegen und die Escher Bürgermeisterin. Hat er der Webseite der DP Sassenheim entnommen. Ich hatte ihm meine Visitenkarte von den letzten Gemeindewahlen in die Hand gedrückt.)
Zu Abend essen wir, wieder alle sieben vereint, in einem tatarischen Restaurant, der Name ist mir leider entfallen. Ich esse als Vorspeise eine tatarische Nudelsuppe mit Hühnchenfleisch und als Hauptmenü leckeres Lammfleisch. Zu trinken gibt es Paulaner 😉 Später trinken wir tatarischen Tee (schmeckt im Grunde nicht anders als gewöhnlicher, schwarzer Tee) und tatarischen Wodka (angenehm milde für hochprozentigen Alkohol). Die Bedienungen verstehen kaum englisch, aber wir kommen dennoch gut zurecht und geben später auch ordentlich Trinkgeld. Einige meiner Begleiter kosten Chak-Chak, eine tatarische Süßspeisse, die ihnen sehr mundet.
Zurück im Hotel begibt Martin sich brav aufs Zimmer, während wir Anderen noch ein paar Baltika-Bier in der Bar trinken. Dabei kommen wir mit drei Russen (zwei Männern, einer Frau) ins Gespräch. Jene wollen so einiges über Luxemburg erfahren. Mit ihnen trinken wir auch noch 1, 2 Wodka. Vor allem Sven ist irgendwann total blau und bringt uns nur noch zum Lachen. Ab diesem Abend ist er der Wodka-Sven für uns.
Wir stellen zudem fest, dass im Laufe der Nacht manche leicht bekleidete Frauen im Hotel auftauchen. Darauf angesprochen gibt der Rezeptionist tatsächlich unumwunden zu, dass Hotelgäste sich auch Prostituierte aufs Zimmer bestellen können. Es sei gar ein Service des Hotels, für einen interessierten Gast vier Frauen einer „Agentur“ kommen zu lassen, von denen er sich dann eine oder auch mehrere aussuchen könnte. Preis: 3 000 Rubel für eine ganze Stunde mit einer Frau. Auch das ist anscheinend Russland 😀
Wir gehen jedoch alle an diesem Abend ohne Frau zu Bett. Dafür aber sehr spät, nämlich gegen halb vier.
Freitag, 06.09.2013
Während Wodka-Sven erstmal recht angeschlagen im Hotel bleibt, brechen wir Anderen- wegen des Regens draussen mit einem Taxi- zum Kreml auf. Wir besuchen das State Historic Museum Tatarstans, welches zwar sehr klein, aber doch recht interessant ist. Auf der unteren Etage lernt man etwas über die Kultur (Kleidung, Schmuck, Handtücher aus Hanf! usw.) der Tataren, auf der oberen Etage mehr über die Geschichte dieser gewisse Autonomierechte geniessenden Republik Russlands. Die Tataren dürfen über 90% ihres Steueraufkommens selber verfügen und tatarisch gilt neben russisch als Amtssprache, was bedeutet, dass sie in offiziellen Dokumenten ihre eigene Sprache benutzen dürfen. Leider spricht die uns durch die Ausstellung begleitende Frau kein englisch, sie meint aber doch uns hier und da einiges erklären zu müssen. Gottseidank taucht noch am Anfang des Rundgangs ein englischsprechender russischer Gast auf, der bereitwillig die Ausführungen der netten Dame für uns übersetzt.
Im Anschluß begibt sich Martin wegen des Regens gleich ins Joker, während wir zu fünft zum Soviet Lifestyle Museum aufbrechen. Hier kann man sich allmögliche Gegenstände der 70er und 80er Jahre ansehen. Alltagsgegenstände aus der Zeit der alten Sowjetunion wie Schulbücher, Schulbänke, Kleider, Uniformen aller Art, Spielsachen, Radios und Fernseher, aber auch erstaunlich viel Schmuggelware(vor allem Jeans und Schallplatten aus dem Westen). Der Besitzer ist ein sehr sympathischer Kerl, der mehr oder weniger fliessend Deutsch spricht und uns erzählt, dass er gerne viel um die Welt reist und die Scorpions liebt. Er schiesst so einige lustige Fotos mit uns.
Gegen vier Uhr müssen wir uns von ihm verabschieden und brechen zum Joker auf. Unterwegs werden wir leider richtig nass, denn mittlerweile regnet es in Strömen. Im Joker legen wir daher erstmal einige Kleider zum Trocknen ab, bevor wir uns etwas zu Essen bestellen. Für mich gibt es leckeren Lachs. Dazu trinken wir alle dunkles Bier zur Einstimmung aufs Spiel. Mittlerweile ist auch Sven wieder zu uns gestossen.
Eine SMS von Laurent Schüssler erschreckt uns. Wegen des schlimmen Regens droht angeblich ein Spielabbruch. Der Anpfiff wird erstmal um eine Stunde verlegt, bevor der Schiedsrichter eine endgültige Entscheidung trifft. Sollen wir so weit gereist sein um dann doch kein Fussballspiel zu sehen?
Das Joker füllt sich mit Menschen, die ohne die Spielverlegung hier wohl nicht aufgeschlagen wären. Das Personal ist nun heillos überfordert aufgrund des Andrangs. Erste Lieder werden von uns angestimmt und mit einigen Leuten kurz geredet. Hier können plötzlich fast alle wunderbar englisch. Kosmopolite Fussballfans? 😉 Eine halbe Stunde später kommt die Entwarnung, wieder per SMS: es wird sicher gespielt! Wir atmen alle durch. Mittlerweile regnet es auch nicht mehr.
Wir entern in der Folge das Stadion und wohnen dem Länderspiel in einer oberen Reihe der überdachten Haupttribüne bei. Bei Luxemburg fehlt heute leider die gesamte Innenverteidigung (Hoffmann gesperrt, Chanot verletzt). Zudem fällt Guy Blaise ebenfalls aus. Jans und Philipps bilden die Ersatz-Innenverteidigung, aussen agieren Jänisch und Laterza. Im Mittelfeld fehlt zudem der ebenfalls gesperrte Mario Mutsch (vom FC St.Gallen), eigentlich eine Schlüsselfigur des Luxemburger Spiels. Trainer Luc Holtz überrascht mit zwei Spitzen (Aurélien Joachim und David Turpel) und dahinter im offensiven Mittelfeld eigentlich ebenfalls zwei nominellen Stürmern (Stefano Bensi und Daniel da Mota.) Eine sehr gewagte riskante Aufstellung, die allerdings dienstags darauf beim 3-2-Erfolg über Nordirland sich als goldrichtig erweisen soll.
An diesem Tag jedoch ist gegen die Russen nichts zu holen. Schon nach 20 Sekunden gelingt dem Gastgeber nach einem Abwehrfehler das 1-0 durch Kokorin. Ein sehr bitteres Gegentor. Die Luxemburger beweisen jedoch Moral und Kampfgeist und geben das gesamte Spiel über nicht auf. In der 35ten Minute erhöhen die Russen nach einem Freistoß per Kopfball auf 2-0. Wieder Kokorin. Mit diesem Resultat geht es in die Pause.
Die Russen brennen definitiv kein Feuerwerk in diesem Spiel ab, aber sie verwalten souverän den Sieg, der zu keinem Zeitpunkt ernsthaft gefährdet ist. In der zweiten Hälfte erhöht Kerzhakov gar noch auf 3-0. Unsere roten Löwen rennen aber weiter tapfer an und am Ende gelingt sogar noch der verdiente Ehrentreffer durch Joachim. 3-1! Wir jubeln lauthals, springen auf und zeigen unsere Fahnen. Die Freude ist jedoch nur von kurzer Dauer, denn in der 93ten Minute schlägt doch tatsächlich Samedov noch einmal zu. 4-1! Ein auf dem Papier brutales Resultat, was jedoch m.E. um mindestens ein Tor zu hoch ausfällt. Dennoch ist mir eine solche Leistung mit einem solchen Resultat immer noch lieber als eine rein defensive Mauertaktik, die trotzdem nichts an einer mehr oder weniger hohen Niederlage ändert.
Zu unserer Überraschung drehen sich nach Abpfiff fast alle Russen zu uns um und applaudieren uns. Viele stürmen sogar zu uns hoch und wollen Fotos mit uns machen. Die Kasaner sind nämlich mächtig stolz darauf, endlich einmal ein Heimspiel der russischen Nationalelf austragen zu dürfen und freuen sich ungemein über die 13 luxemburgischen Fussballfans, die in ihre Stadt angereist sind (neben uns sieben Schlachtenbummlern sind noch etwa sechs Leute vom alten Fanclub „Roude Léiw“ mit nach Kasan gekommen). Luxemburger sind bekanntlich eine seltene Spezies (so wie sibirische Schneetiger in der Tierwelt) und da will man doch gerne eine Begegnung mit ebendieser festhalten. Bob meint gar im Spass, er fühle sich wie ein „Albino im Dschungel“ 😀 Auch nach dem Verlassen des Stadions kommen noch so manche Fotoanfragen, die wir höflich erfüllen. Die Russen sind mir nach dieser Reise richtig sympathisch geworden. 😉
Den Rest des Abends verbringen wir bei ein paar Bierchen im Marriot´s, wo mir Verbandspräsident Pol Philipp noch so einiges an der Bar erzählt und erklärt. Irgendwann verabschieden Martin und ich uns von den Anderen, die noch länger bleiben wollen, und fahren müde mit einem Taxi zurück in unser eigenes Hotel.
Samstag, 07.09.2013
Unsere Freunde fliegen heute zurück nach Hause. Sie sind bereits zum Flughafen aufgebrochen, als wir aufstehen. Mit einem Taxi fahren Martin und ich nach dem Frühstück zum Tempel aller Religionen, welcher etwas weiter entfernt vom Stadtzentrum sich befindet. Dieser Tempel sieht schon recht kitschig aus, hat aber irgendwie etwas. Die skurille Idee, Symbole und Stilmittel von gleich 16 Weltreligionen in ein kunterbuntes, überdies immer noch nicht komplett fertiges Bauwerk einzufügen, finde ich irgendwie lustig und ich schiesse so einige Fotos von Chanows architektonischem Kunstwerk.
Im Anschluß fahren wir mit zwei Linienbussen zurück in die Innenstadt zurück. Am Kreml besteigen wir einen Sightseeingbus und sehen noch einige schöne Flecken von Kasans moderner Innenstadt. Später schlendern wir selber noch ein wenig durch Kasan, bevor wir nach einer kurzen Rückkehr ins Hotel zum Abendessen aufbrechen. Nach dem Essen geht es noch ins nah an unserem Hotel gelegene „Guinness Pub“, bevor wir uns zum Ausruhen nun endgültig zurück ins Hotel begeben.
Sonntag, 08.09.2013
Gegen ein Uhr in der Nacht checken Martin und ich aus dem Hotel aus, trinken noch einen letzten Wodka in der Bar zusammen und fahren mit einem Taxi zum Flughafen (Preis: 1 500 Rubel). Kurz vor vier fliegen wir mit Turkish Airlines nach Istanbul ab. Am Flughafen Atatürk trennen sich unsere Wege. Martin fährt mit einem Shuttle zu einem anderen Istanbuler Flughafen, von wo aus er später nach Basel heimfliegt. Ich hingegen warte auf meinen 9:20-Uhr-Weiterflug heim nach Luxemburg, wo ich 11:40 Uhr Ortszeit nach einem erlebnisreichen Urlaub wieder lande. Nächste Station der „Road to Brazil“-Tournee: Coimbra (Portugal).
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