L for Liberty

…because liberty is not negotiable.

Mir wëllen net bleiwen…

Am Mittwoch waren nestor76 und ich als eingeladene Gäste bei der Avant-Première des neuen Luxemburger Dokumentarfilmes „Mir wëllen net bleiwen“ (Regie: Becker/Tonnar) im Utopolis. In diesem recht sehenswerten Film werden vier, ziemlich exotische Fälle ausgewanderter Luxemburger vorgestellt sowie der eines Südafrikaners, der seinerseits Luxemburg als seine neue Wahlheimat vor ein paar Jahren ausgewählt hat.

Ich will hier nicht allzuviel verraten, da manche Leser sich den Film vielleicht selber noch ansehen wollen, sondern nur kurz die einzelnen Geschichten erläutern um die Neugierde zu erwecken.

Da ist zunächst die Geschichte der älteren Mariette Braquet, die im Königreich Gobir (in den Staaten Niger und Nigeria gelegen) im Dienste einer ONG durch verunreinigtes Wasser missgebildeten Kindern wichtige OP’s und medizinische Versorgung sowie Bildung zwecks Armutsbekämpfung ermöglicht. Sie wurde vom König mittlerweile zur Familien- und Kinderministerin und zu einer Art „Magierin“ ernannt.

Dann geht es weiter mit der Bauernfamilie Elsen, die vor Jahren aus Luxemburg nach Kanada ausgewandert ist, weil sie bezüglich Zukunft des Agrarsektors zuhause kaum noch Perspektiven sahen (Eigentlich ist er längst komplett tot und wird nur mittels Subventionen künstlich noch irgendwie am Leben erhalten, Anm. des Autors). Ihnen gehören nun etliche Hektar Land und große Viehherden in Kanada (einem Land, was wie die USA, ein absolut multikulturelles Einwanderungsland ist, in dem jedoch alle englisch miteinander reden und dumpfer Tribalismus nichts zu suchen hat). Der Zuschauer erlebt die Geburt zweier Kälber hautnah mit und erfährt, dass Bauern in Kanada noch gut angesehen sind, während sie in Luxemburg leider nur noch belächelt werden.

Es folgt die Story von LfL-Leser Claude Sternberg, dessen spannendes Leben ich bereits hier kurz schilderte. Oder auch Luc Marteling in der Revue. Diesmal kamen jedoch auch noch seine Frau Patricia und seine beiden Söhne Raphy und Gabriel (auf englisch) zu Wort. Trotz der alltäglichen Bedrohung durch die Hamas und dem obligatorischen Militärdienst würden alle Familienmitglieder nirgendwo anders leben wollen als in der geliebten Heimat des kleinen, jüdischen Staates.

Alle Geschichten faszinierten mich, aber am meisten wohl die nun folgende des echten „self-made man“ Jos Spartz. Der reiche Millionär und Single erzählt, dass seine Mutter immer wollte, dass er doch einen Arbeitsplatz beim Staat oder bei einer Bank übernehmen sollte, doch der Querdenker arbeitete erstmal bei Levi’s bevor er unbezahlten Urlaub nahm um eine quasi bankrotte Textilfirma vorm Konkurs zu retten und wieder nach oben zu bringen. Jahre später eroberte er dann die neuen Märkte Südostasiens und gelang zu recht viel Reichtum, der es ihm ermöglichte eine indonesische Insel zu kaufen. Dort errichtete er als Wohnsitz einen eigenen Palast. Quasi-libertärer O-Ton dazu: „Hier wartet man halt nicht ewig auf eine Baugenehmigung und muss für jeden, kleinen Scheiß ein Formular ausfüllen, man baut einfach wie es einem gefällt. Zudem wartet man auch nicht ewig auf Arbeiter, sondern kriegt sofort alles erledigt.“

Für die Bewohner der Insel ist er ein geliebter Vater, der längst die Gehälter vieler Lehrer in der einzigen Schule übernommen hat und quasi Direktor derselben geworden ist. So finden in seinem Haus auch regelmässig Lehrersitzungen statt, bei denen neue Ideen debattiert werden. „Ich könnte sofort Gouverneur hier werden, die Leute würden mich sofort wählen, aber sowas interessiert mich nicht.“

Der prunkvolle Wohnsitz ist recht klassisch eingerichtet und durchaus geschmackvoll. Überall findet sich der rote Löwe wieder, Hausdiener tragen T-Shirts mit Luxemburg und Echternach als Aufschrift oder gar gleich alte Armeeuniformen des Großherzogtums, den Boden des Swimming Pools ziert ein eigens entworfenes Logo. 😉

Der Mann ist ohne Zweifel stockkonservativ, ein überzeugter „aufgeklärter Monarchist“ (von einer Republik hält er wenig), aber keinesfalls ein Ausbeuter.

Die letzte Geschichte erzählte von einem sehr couragierten luxemburgisch-südafrikanischen Paar Zachariah/Spielmann, was für „Ärzte ohne Grenzen“ in vielen Ländern der Welt unterwegs war und leider auch den Völkermord in Ruanda hautnah miterlebte. Nach der Geburt des ersten Sohnes im Tschad entschied sich das Paar dazu, in Luxemburg seßhaft zu werden. Der südafrikanische Arzt lernt nun mit Begeisterung luxemburgisch und meint, dass ein wenig mehr Nationalstolz- wie er ihn aus seiner eigenen Post-Apartheid-Rainbow-Nation kennt- dem Land nicht schaden könne. Zudem solle man ruhig die eigene Sprache fördern. Er fühlt sich in Luxemburg pudelwohl, wurde von der Familie seiner Frau sofort gut aufgenommen und hob besonders die politisch unbefleckte Vergangenheit des Landes hervor.

Im Anschluß an den Film gab es noch kurz eine Diskussionsrunde zum Thema Migration mit den beiden Regisseuren Tonnar/Becker und dem Produzenten Steil sowie den Ministern Mars di Bartolomeo (LSAP) und François Biltgen (CSV), Claude Frisoni (Direktor des Kulturzentrums der Abtei Neumünster) und René Kollwelter (Ex-Päsident der ASTI.) Hierbei regte sich Letzterer gleich mal auf, dass er in Indonesien keine Muslime und in Israel keine Palästinenser gesehen hätte. Hat der gute Mann verstanden, dass es hier um individuelle Lebensgeschichten ging und weniger um die Länder an sich? Überdies trugen einige Frauen in Spartz’Geschichte durchaus Kopftuch, also handelte es sich dabei wohl auch um muslimische Frauen. Was den Nahostkonflikt wiederum angeht, diesen wollten die Regisseure laut eigenen Aussagen eben bewusst nicht mit ins Spiel bringen.

Di Bartolomeo und Frisoni äusserten sich negativ über den Mann, der wohl in Luxemburg nicht Großherzog werden konnte und daher nun woanders sich seinen Traum erfüllt hat. Na, und? Im Gegensatz zum Großherzog, dessen Macht durch die Verfassung quasi auf ewig zementiert ist, ist die des Geschäftsmannes nur auf Zeit vergeben und an konkrete soziale und wirtschaftliche Gegenleistungen gebunden. Wirtschaftliche „Macht“ und politische Macht sind grundverschieden. So basiert die des sozialistischen Politikers di Bartolomeo, den ich persönlich NIE gewählt habe, der aber dennoch über meine Gesundheit bestimmen möchte, auf institutionalisiertem Zwang und institutionalisierter Gewalt, die eines Geschäftsmannes jedoch auf dem einvernehmlichen Händlerprinzip. Und im Gegensatz zu di Bartolomeo- der als Politiker auch genug Privilegien geniesst- will Spartz auch nicht über andere Menschen herrschen.

Frisoni warf dem Mann vor, er wolle sich nur eigene Fantasien erfüllen. Recht hat er. Genau darum geht es im Leben: sein Leben nach eigenen Ansichten, Werten und Ideen zu leben und dies auch zu dürfen, solange dabei nicht die Rechte anderer Bürger verletzt werden. Die Wahrheit ist, dass dem Mann Egoismus vorgeworfen wird, allein deswegen gehört er schon verteidigt. Ironischerweise bemerkte Frisoni zugleich, dass Madame Braquet ja durchaus auch zuerst aus Eigennutz handeln würde, weil ihre Aufgabe in Gobir sie mehr erfüllen tut als Kaffeekränzchen in Luxemburg. Recht hat er. Eigennutz und soziales Denken schliessen sich eben nicht aus, ganz im Gegenteil. Nur ist es falsch, Eigennutz nur zu gestatten wenn davon auch Andere profitieren.

Das ist für mich die Aussage des Films: lebe Dein Leben, wie es Dir und Dir allein gefällt und gut für Dich ist. Manche zieht es dabei ins Ausland, andere hingegen bleiben in Luxemburg, jeder muss seinen ganz eigenen Weg finden. Und kein Mensch ist eben ein Opfertier für Andere und (private) Sozialhilfe immer ein freiwilliges Geschenk, was auch dem Geber vieles geben kann, aber eben ein Geschenk und keine Pflicht.

Damit keine Missverständnisse aufkommen: ich bin kein Materialist und es gibt für mich viel mehr auf dieser Welt als reiner Konsum (ich konsumiere selbst unterdurchschnittlich wenig) und viel Geld. Diejenigen, die Spartz nur bewundern weil er viel Kohle hat (die allerdings ehrlich durch Leistung verdient ist !), liegen grundfalsch. Ich bewundere ihn wie alle anderen im Film wegen ihres Individualismus, ihrem Mut auf eigenen Beinen zu stehen, als selbstständige Denker mit eigener Meinung, eigenen Ideen und ganz eigener Identitätsfindung und Lebensgestaltung. Und natürlich auch weil er hart gearbeitet hat um reich zu werden, er ist kein wertloser Erbe. Schade finde ich nur, dass er keine Familie, zumindest eine Frau, hat. Trotz seiner Mitbewohner auf der Insel ist er wohl recht einsam.

Kollwelter sprach noch kurz die laut ihm zu restriktiven Migrationsbedingungen in Luxemburg an und Biltgen äusserte sich positiv über die eingeführte doppelte Nationalität/Staatsbürgerschaft. Dabei wurde kurz darüber gesprochen, was einen Luxemburger denn nun ausmache, welche Bedeutung die Luxemburger Sprache wie auch die Luxemburger Vielsprachigkeit habe usw. Viel Blabla halt.

Ich war persönlich froh als es zur anschliessenden Rezeption mit Sekt und Schnittchen ging, wo wir uns noch kurz mit Claude Sternberg und LfL-Leserin Brigitte Wunsch unterhielten, bevor es mit Bus und Zug (die LfL-Truppe ist sehr umweltbewusst und nutzt meistens den ÖPNV) zurück nach Hause ging.

Allen Lesern sei der Film noch mal wärmstens empfohlen.

Mir wëllen nët bleiwen TRAILER from Yann Tonnar on Vimeo.

Siehe auch:
Peau de veau
Cinéma: Mir wellen net bleiwen

Juni 20, 2010 - Posted by | Neues aus Luxemburg, Video | , ,

6 Kommentare »

  1. Reicher Millionär? Gibt’s auch arme Millionäre? 😉

    Kommentar von Grommel | Juni 20, 2010

  2. Ja, hängt von der Währung ab 😉

    Früher bspw. in Italien (mit den Lira) jede Menge 😀

    Kommentar von CK | Juni 20, 2010

  3. Very interesting film. Interesting stories and very pintoresque as well.
    The man in Indonesia is probably the most interesting of all. Excentric, but generous with the people of his community. He is creating wealth not only for himself but for his employees and their families. And he is giving them the most precious gift and investment for the future of their children: Education. That is the most important tool to get out of poverty.

    Kommentar von Dagny | Juni 20, 2010

  4. Ab der Minutt 2:42:
    http://tele.rtl.lu/magazin/zinemag/show/?v=21461

    Muss een Dokumentarfilm onbedengt een kloren Message hunn?

    An dann natirlech d’Kritik um „knallhuarden Zionist“, naja…

    Bon, ech kann mat villen- reliéisen oder och mysteschen- Aussoen vum Claude och guer naischt ufaenken (an sinn u sech als „Griech“, wéi de Claude daat philosophesch nennt, aus Prinzip do och opposéiert zou), mee hei spillt den Joy natirlech ganz kloer wéi den Kollwelter op den Nahostkonflikt un. 😦

    Kommentar von CK | Juni 25, 2010

  5. Heute ist auch ein längeres Interview mit den beiden Regisseuren in der Woxx zu finden (leider nicht online, sondern nur in der Print-Ausgabe). Der Quotidien widmete vor ein paar Tagen den Leitartikel dem Film: http://www.lequotidien.lu/index.php/editoriaux/12694-Rester-partir.html (französisch)

    Kommentar von nestor | Juni 25, 2010


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