L for Liberty

…because liberty is not negotiable.

Lesestoff

In den letzten Tagen hat man in den deutschen Medien viel von den sogenannten „Fünf Wirtschaftsweisen“ gehört und gelesen. Dieser Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung ist ein unabhängiges Gremium, das sich mit der wirtschaftlichen Ausrichtung Deutschlands befasst. Das durch die Medien gegangene Jahresgutachten ist hier zu finden – und umfasst über 400 Seiten!

Die Zeit das Ganze zu lesen hatte ich nicht, aber es ist beileibe nicht das Laissez-faire-Pamphlet geworden, wie manche auf zweifelhafte Art berichten. In die Medien kam der eigentlich sehr spezielle und trockene Bericht, weil vor allem die Steuersenkungen der Bundesregierung darin kritisiert werden. Und was tut Merkel? Das.

Auch interessant die anderen Reaktionen darauf:

Der Deutsche Gewerkschaftsbund teilt zwar die Kritik der Sachverständigen an der Steuerpolitik der Koalition, warf dem Rat aber vor, er hänge in seinen sonstigen Analysen altem Denken nach: „Leitend ist eine wirtschaftsliberale Ideologie, die die aktuelle Krise maßgeblich mitverursacht hat.“

Das „alte Denken“ ist eher, dass der DGB die Stammtischparole einer wirtschaftsliberalen Leitideologie übernimmt. Und die „neue“ SPD steht dem in nichts nach.

Hier nun ein paar, inhaltlich gar nicht mal so abwegige, Zitate, die mir beim Überfliegen des Textes aufgefallen sind:

Ein höheres Bildungsniveau lässt sich zudem mit verstärkten Anstrengungen der Schulen erreichen. Ein Wettbewerb zwischen den Schulen um Schüler − und damit um öffentliche finanzielle Zuweisungen −, zusammen mit einer höheren Autonomie der Schulen, beispielsweise im Hinblick auf das Erreichen der Klassenziele und die Einstellung von Lehrern, kann entsprechende Anreize zu Leistungssteigerungen der Schulen bieten. (S.17)

Auch wenn ich noch weiter gehen würde, alleine die Forderung nach mehr Schulfreiheit sollte schnell berücksichtigt werden.

Der Staat ist dabei vor allem als starker Unparteiischer gefordert, der marktwirtschaftliche Prinzipien wahrt und einen praktikablen rechtlichen Rahmen für die Restrukturierung der Wirtschaft bereitstellt. Die Große Koalition hatte sich jedoch in der aktuellen Wirtschaftskrise entschieden, auch außerhalb der Finanzmärkte in erheblichem Maße direkt in das Wirtschaftsgeschehen einzugreifen. So wurden insbesondere die Rahmenbedingungen bei der Unternehmensfinanzierung durch die Einrichtung des „Wirtschaftsfonds Deutschland“ (Deutschlandfonds) temporär verändert. Die Politik stützte aber auch ganze Branchen und einzelne Unternehmen direkt, einerseits durch eine bevorzugte Behandlung beim Zuschnitt der Finanzpolitik und andererseits durch die Gewährung von direkten Finanzhilfen und Garantien.

Damit hat der Staat seine Rolle als Unparteiischer teilweise aufgegeben.
(…)

Im Fall Opel gab der Staat seine Rolle als Unparteiischer sogar vollends auf, indem er versuchte, ein einzelnes Unternehmen gezielt zu retten. Die mit derart gezielten Rettungsversuchen einhergehenden Wettbewerbsverzerrungen und Belastungen für die Steuerzahler sind nicht zu rechtfertigen. (S.19)

Die Bezeichnung des Staates als „Unparteiischer“ ist interessant. Wenn der Staat überhaupt in der Wirtschaft etwas zu suchen haben sollte, dann als solche unparteiische Instanz. Alles andere ist Planwirtschaft.

Die Politik kann den technischen Fortschritt aber weder planen noch dirigieren. Vielmehr muss sie sich am Wettbewerb als Entdeckungsverfahren orientieren. Allerdings kann sie den technologischen Wandel durchaus wirksam unterstützen und ihm aktiv Impulse verleihen. Dies erfordert mehr als die − zweifellos unabdingbare − Überwachung einer wettbewerblichen Wirtschaftsordnung: Eine anspruchsvolle Innovationspolitik muss vor allem darauf setzen, die Infrastruktur für Innovationen anhand der umfassenden Förderung des Dreiklangs „Bildung − Forschung − Wissenstransfer“ zu stärken, durch geeignete Anreize die kreativen Kräfte des Wettbewerbs so gut wie möglich zu entfesseln und jede gezielte Förderung selbst als transparenten und zeitlich begrenzten Entdeckungsprozess auszugestalten. Es wird sich bei einer gezielten Förderung häufig schwer vermeiden lassen, dass dabei ein Element der vertikalen Industriepolitik mitschwingt − gewinnt dieses wie im Beispiel der Photovoltaik gegenüber den innovationspolitischen Intentionen die Oberhand, da sich der Staat nicht rechtzeitig aus der Förderung zurückzieht, dann mindert die Förderung Wachstum und Wohlstand. (S.20)

Insgesamt ist zu bezweifeln, dass eine reine Mengenregulierung die Systemrelevanz von Finanzinstituten reduzieren kann, ohne Grundfunktionen des Finanzsystems fundamental zu schwächen. Deshalb muss an einer möglichst zielgenauen Preisregulierung gearbeitet werden. Systemisch relevanten Instituten müssen zusätzliche Kosten auferlegt werden, die im Idealfall genau den Vorteil, systemisch zu sein, kompensieren. (S.139)

„Too big to fail“ darf nicht sein. Und der Staat sollte keinen Anteil daran haben, dass eine Firma „too big to fail“ wird, indem er z.B. Konkurrenten benachteiligt.

Durch das Fremd- und Mehrbesitzverbot von Apotheken wird trotz der Zulassung
von Versandapotheken seit dem Jahr 2004 und der Aufhebung der Preisbindung der zweiten Hand für nicht verschreibungspflichtige Medikamente eine weitgehende Ausschließlichkeit der eigentümergeführten Präsenzapotheke gewährleistet. Dabei folgt aus dem Fremdbesitzverbot, dass Apotheken nur von selbständigen Apothekern und nicht von Kapitalgesellschaften betrieben werden dürfen. Aus dem Mehrbesitzverbot wiederum resultiert, dass ein Apotheker lediglich eine Hauptapotheke und drei regional beieinander liegende Filialapotheken betreiben darf. Apothekenketten, die den Wettbewerb bei der Distribution von Arzneimitteln stimulieren würden, werden auf diese Weise verhindert. Da die Entscheidung des Europäischen Gerichtshofes vom 19. Mai 2009, dass das Fremdbesitzverbot in Deutschland nicht gegen Europäisches Recht verstößt (AZ C-171/07 oder C-172/07), das Fremd- und Mehrbesitzverbot von Apotheken in Deutschland unbeschadet lässt, wäre es die Aufgabe der Politik, dieses in Frage zu stellen. Denn mit der Liberalisierung des Arzneimittelvertriebs können Ef-
fizienzreserven gehoben werden, die den Ausgabenanstieg im Bereich der Arzneimittel begrenzen würden. Der Koalitionsvertrag von CDU, CSU und FDP bestätigt demgegenüber das Fremd- und Mehrbesitzverbot von Apotheken. Dieser Schutz von Partikularinteressen ist aus Sicht des Sachverständigenrates abzulehnen. (S.204)

Wie gesagt: Es ist nicht Aufgabe des Staates der Wirtschaft Steine in den Weg zu legen.

In der Erwartung von in rascher Folge auftretenden Liquiditäts- und Solvenzproblemen wurden von der Bundesregierung in dieser Krise zum einen industriepolitische Weichen gestellt, um temporär die Rahmenbedingungen unternehmerischer Tätigkeit zu verändern. Dies geschah durch die Ausweitung der Regelungen zum Kurzarbeitergeld, die Stärkung der Eigenkapitalbasis von Finanzunternehmen und die Einrichtung eines Deutschlandfonds für ansonsten gesunde Unternehmen mit Finanzierungsproblemen. Diese Schritte werden vom Sachverständigenrat im Großen und Ganzen positiv eingeschätzt, selbst wenn es vorzuziehen gewesen wäre, statt der Einrichtung des Deutschlandfonds im Finanzsektor entschiedener einzugreifen.
Zum anderen wurden einzelne Branchen bevorzugt und sogar einzelne Unternehmen gezielt unterstützt. Die damit verbundenen Verzerrungen des Wettbewerbs lassen sich nur schwer rechtfertigen. Beim Deutschlandfonds hat der Staat sich bemüht, die Abweichungen von der Rolle des Unparteiischen zu begrenzen. Im Falle von Opel hat er diese Rolle zweifellos kompromittiert. Ohne eine detaillierte Analyse, die sowohl die Struktur der Stützungsmaßnahmen als auch wirtschaftliche Effekte bei geförderten Unternehmen und deren Konkurrenten nach der Krise betrachtet, sind die konkreten volkswirtschaftlichen Kosten dieser Entscheidungen allerdings noch nicht in vollem Umfang absehbar. (S.218)

Naja…

Durch die Einrichtung des Finanzmarktstabilisierungsfonds konnte ein Kollaps der Kreditmärkte verhindert werden. Die primäre Motivation für die massive Unterstützung einiger Banken lag in der zentralen Rolle der Finanzintermediäre für das Funktionieren der Realwirtschaft. Somit gab es zu dieser Maßnahme keine ernsthafte Alternative. (S.218/219)

Nochmals Naja…

Ein Klima des stetigen Strukturwandels kann sich jedoch nur bei einem funktionierenden Marktwettbewerb entfalten: Mangelnder Wettbewerb führt dazu, dass einzelne Unternehmen Marktmacht ausüben können. Die drohende Konsequenz ist Ineffizienz, eine suboptimale Versorgung der Konsumenten und somit ein gesamtgesellschaftlicher Wohlfahrtsverlust. Wettbewerb am Markt hingegen ist die Triebfeder für unternehmerische Innovation, etwa auf der Produktebene oder beim Herstellungsprozess (Baumol, 2002). Diese Einsichten begründen regulatorische Eingriffe ins Marktgeschehen, um die Marktmacht einzelner Unternehmen zu begrenzen oder auch Absprachen im Rahmen von Kartellen zu unterbinden.

Ablehnung erfährt die Wettbewerbspolitik häufig durch Interessenverbände. (S.228)

Wettbewerb als Motor der Wirtschaft. Ob tatsächlich Eingriffe unter den genannten Bedingungen nötig sind, wenn bis Privilegien abgeschafft sind, wäre ein interessantes Experiment.

In der Praxis hat Deutschland diese energiepolitische Aufgabenstellung zumindest in zwei herausragenden Fällen verfehlt, einerseits bei der seit Jahrzehnten währenden massiven Förderung des deutschen Steinkohlenbergbaus und andererseits bei der ebenfalls auf Jahrzehnte wirkenden, fehlgeleiteten Förderung erneuerbarer Energien, hier vor allem der Photovoltaik. In beiden Fällen sind erhebliche Mittel in Tätigkeiten gelenkt worden, die zwar den entsprechenden Partikularinteressen hohe Vorteile gebracht haben, aber der breiten Mehrheit der Bürger entzogen werden mussten (Lageman et al., 2007a). Selbst bei wohlwollender Betrachtung der Bruttoeffekte der Förderung steht fest, dass die Kosten für die in diesen Branchen entstandenen Arbeitsplätze den marktüblichen Betrag für vergleichbare Arbeit um ein Vielfaches übersteigen. (S.235)

Eine Erfolg versprechende Innovationspolitik für Deutschland sollte unserer Einschätzung nach drei zentrale Prinzipien respektieren: Sie sollte (i) einem umfassenden, konsistenten und transparenten Konzept folgen, das sie offensiv vermittelt, (ii) ihre Priorität durch die Betonung von Wettbewerb, Eigenverantwortlichkeit und -initiative auf wirtschaftliches Wachstum richten und (iii) durch Transparenz, regelmäßige Leistungskontrolle und die temporäre Ausgestaltung ihrer Förderaktivitäten ein positives Reizklima für innovative Leistungen schaffen. (S.243)

„Innovation“ ist ein gutes Stichwort. Bisher kam noch nie Innovation auf Befehl, ganz im Gegenteil.

Eine weitere Voraussetzung für den Erfolg einer innovationspolitischen Strategie dürfte in ihrer Kommunikation liegen. Nur wenn es gelingt, das Thema Innovation fest im Zielkanon und dem Selbstverständnis aller Akteure in Wirtschaft und Gesellschaft zu verankern und diese im Sinne einer Aufbruchstimmung dafür zu gewinnen, eigeninitiativ und selbstverantwortlich an ihrem Erfolg zu arbeiten, wird sich die Wachstumsleistung der Wirtschaft tatsächlich durch die Innovationspolitik beflügeln lassen. (S.245)

Steuersenkungen seien bei der gegenwärtigen Konjunkturlage Deutschlands nicht erstrebenswert, schon gar nicht auf Pump. Andererseits werden Konjunkturprogramme generell gutgeheißen und ein bisschen Regulieren ist auch drin, so dass die Einschätzung der „Fünf Wirtschaftsweisen“ nur ansatzweise klassische Liberale zufrieden stellen kann und im besten Sinne (wenn man mal die „blabla-alles-doof“-attac-Umdeutung des Begriffs vergisst) neoliberal zu nennen ist.

Auch lesenswert:
Schwarz-Gelb I: Jetzt ist es raus: Die FDP kneift! (Rainer Hank)
Schwarz-Gelb II: Die Finanzen im Koalitionsvertrag (Jan Schnellenbach)
Schwarz-Gelb III: Falsche Arbeitsanreize und fehlende Äquivalenz (Norbert Berthold)
Widerstand gegen die Steuersenkungen der FDP (K.P. Krause)
Die absurden Annahmen der Neoklassik – und wie man dagegen angehen könnte (von Wolfgang Kasper, pdf)
Vom Nutzen und Wert der Ordnungspolitik (von Prof. Dr. Christian Watrin, pdf)

Und noch:
Spiegel über alte Hüte
Im Kern längst gewusst, aber im Lichte der neoliberalen Weltverschwörung, welche einige Michael-Moore-Kids überall sehen, wird daraus plötzlich eine revolutionäre Erkenntnis, deren Terminologie allerdings nur die alten Vorurteile aufwärmt.

November 15, 2009 - Posted by | Deutschland, Lesestoff, Wirtschaft | ,

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